Über Privilegien
Jemand schickte mir einen Auszug aus meinem kürzlichen Auftritt in einem Podcast zu regenerativer Landwirtschaft, wo ich Folgendes sagte:
Im Grunde ist eine privilegierte Person jemand, der keine Gemeinschaft hat oder braucht, weil er alle seine Bedürfnisse mit Geld stillen kann. Denn wenn du in der modernen Gesellschaft genügend Geld hast, brauchst du nichts und niemanden. Du brauchst die Menschen um dich herum nicht, weil du für alles, was sie sonst für dich tun würden, Außenstehende bezahlen kannst. Du brauchst das Ökosystem um dich herum nicht, du brauchst den Boden um dich herum nicht, weil du für den Import von Lebensmitteln von anderswoher zahlen kannst. Du bist komplett unabhängig von deinen Beziehungen, außer von der einen Beziehung, die in der modernen Gesellschaft überlebensnotwendig ist: der Beziehung zu Geld. So scheint es wenigstens, aber wie die von dir zitierte Studie zeigt, ist es eigentlich gar nicht wahr, dass wir alle unsere Bedürfnisse mit Geld erfüllen können. Was Geld allerdings macht: Es ersetzt zwischenmenschliche Beziehungen. In einer Amish-Gemeinschaft gibt es zum Beispiel – soweit ich weiß – keine Gebäudeversicherungen. Wenn dein Haus niederbrennt, so wird die Gemeinschaft sich zusammentun und dir ein neues Zuhause aufbauen. Das ist deine Versicherung. Und dein Versicherungsbeitrag besteht aus den vielen Malen, die du anderen geholfen hast, ihr Haus aufzubauen. In so einer Gemeinschaft brauchst du also keine Versicherung. Aber jede Gemeinschaft, die so lebt, ist ein lohnendes Ziel für die sogenannte Entwicklung, für wirtschaftliches Wachstum; denn man kann ja diese Funktion der Gemeinschaft gut durch eine bezahlte Dienstleistung ersetzen. So kam es, dass in der modernen Zeit eine zwischenmenschliche Beziehung nach der anderen durch bezahlte Dienstleistungen ersetzt wurde. In allen Bereichen, von der Herstellung von Lebensmitteln über die Kinderbetreuung bis hin zur Unterhaltung. Es geht nicht nur um das Lebensnotwendige, sondern auch darum: Was braucht es, um gut zu leben? Ganz Mensch zu sein? Und wenn du nicht mehr selbst Musik machst, sondern sie von Spotify runterlädst, ist das ein weiterer Beitrag zum guten Leben, der in Geld umgewandelt wurde. Und genauso werden ökologische Beiträge in käufliche Dienstleistungen umgewandelt. Und das nimmt dem Leben seinen wirklichen Reichtum. Du fragst also, was man dagegen tun könne. Im weitesten Sinne geht es darum, die verlorenen Beziehungen wieder aufzunehmen, wiederzubeleben, zu regenerieren, wieder Beziehungen einzugehen ... diese Idee [von den Privilegien] auf den Kopf zu stellen und das Wissen darum, was das Leben reich macht, was es zu einem guten Leben macht, anzunehmen und zu sagen, okay, es ist höchste Zeit, wieder im Reichtum zu leben. Es ist höchste Zeit, sich die verlorenen Beziehungen zurückzuholen.
Eine logische Folge meiner Argumentation ist diese: In subtiler Weise sind die Grundannahmen, die die Privilegierten als selbstverständlich ansehen, Teil der Idee vom Privileg. Der Diskurs um Privilegien setzt voraus, dass das Leben als Privilegierte erstrebenswert sei. Das ist Teil der Ideologie der Entwicklung, der dem Rest der Welt westlich-modernistische Konzepte von Fortschritt auferlegt. Sie betrachtet die Entwicklung mit der selbstgefälligen Gewissheit, dass unsere Art zu leben besser sei als die der anderen.
Sicherlich ist das Leben eines wohlhabenden US-Vorstädters dem eines hungernden somalischen Dorfbewohners, eines eingesperrten Häftlings oder eines haitianischen Kindes, das Opfer von Menschenhandel wurde, vorzuziehen. Aber ist es besser als das Leben der Verwandten meines amischen Interviewers in dem Podcast? Ist es besser als das Leben indigener Bauern in den entlegenen Anden? Als das Leben traditioneller Dorfbewohner in Gabun oder Bangladesch? Wenn ja, warum sind die Menschen an solchen Orten oft spürbar glücklicher als die in Amerika, wo durchschnittlich mehr als ein Psychopharmakon pro Kopf und Jahr verschrieben wird?
Führe dir mal ein Beispiel für die philanthropische Entwicklungsarbeit einer NGO vor Augen: Brunnenbohrungen für Afrikaner, die in einer entlegenen Gegend leben. Jeder würde zustimmen, dass der Zugang zu sauberem Trinkwasser für alle Menschen ein positives Gut ist. Ist es jedoch ein Fortschritt, in jedem Zuhause fließendes Wasser zu haben? Aus der Sicht eines Amerikaners ist das offensichtlich der Fall, wie wir spätestens merken, wenn ein Stromausfall die Wasserversorgung unterbricht. Aber traditionelle Dorfbewohner sagen, dass die Quelle oder der Fluss ein zentraler Teil des Dorflebens ist, einer der wichtigsten Treffpunkte – besonders für Frauen. Geht es uns denn besser, jeder für sich im eigenen Zuhause, ohne mit den anderen interagieren zu müssen, um Essen, Wasser, Spiele, Kinderbetreuung oder Unterhaltung zu beschaffen?
In dem Interview hatte ich auch von dem Reichtum gesprochen, der in der Verbindung zu nichtmenschlichen Wesen wie Pflanzen, Tieren, Wind, Regen und dem Boden liegt. Fortschritt hat uns von all dem entfernt. Wenn Geld unsere Beziehungen zu diesen anderen Wesen vermittelt, wird es zu unserer primären Beziehung mit der materiellen Welt. Am Ende sind wir allein.
Die Privilegierten haben wenigstens Geld. Der Rest, der nun in einer Gesellschaft der Trennung lebt, leidet aber ebenso unter der Distanz zu Natur und Gemeinschaft – und zusätzlich unter einem Mangel an Geld. Nehmen wir diese Distanz als gegeben hin, dann, ja, dann ist es besser Geld zu haben, als keines zu haben. Privilegiert zu sein ist besser, als unterprivilegiert zu sein.
In einer Gesellschaft, in der die Gerichte und die Polizei – anstelle von Dorfräten und weisen Ältesten – unsere Dispute klären, ist es besser, den privilegierten Ethnien und Klassen anzugehören, die weniger unter der Polizeigewalt leiden als Arme und Schwarze.
Aber müssen wir das alles als selbstverständlich hinnehmen? Können wir uns eine andere Art Gesellschaft vorstellen? Manche von uns haben so etwas schon gesehen, an entlegenen Orten oder in Überresten in entwickelten Gesellschaften. Manches ist sogar in amerikanischen Kleinstädten noch in Ansätzen vorhanden. Es ist möglich, aber der Weg von hier nach dort liegt im Nebel verborgen. Der erste Schritt ist immer ein Schritt zurück in die Verbindung. Dann erinnern wir uns an den Reichtum, den wir verloren haben. Unser Eindruck von Mangel mitten im Überfluss wird bestätigt. Wir geben uns nicht länger zufrieden mit dem geld- und technologievermittelten Ersatz für das, was wir verloren haben. Wir dulden nicht länger die andauernde Zerstörung von Arten, Lebensräumen, Orten und Kulturen, denen ein solcher Reichtum immer noch innewohnt. Unsere Entscheidungen sind natürlicherweise auf die Wiederherstellung wirklichen Reichtums für ausnahmslos alle ausgerichtet.
Eine tiefere Auseinandersetzung mit diesen Gedanken findet sich in meinem Essay Das Festmahl der Weißen. Es war einer meiner besten Essays, der aber sehr wenig Beachtung erhielt, weil er Covid-Beispiele nutzte, zu einer Zeit, in der das Thema derart politisch aufgeladen war, dass jede feine Strömung im großen Strudel verloren ging.
Übersetzt von Vanessa Groß, korrekturgelesen von Ingrid Suprayan. Die englische Originalfassung dieses Blogbeitrages findest du hier.
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